Auf 292 Seiten und in 96 Kapiteln plus Auftakt und Epilog jagt Mike Bohrer Bösewichte. In seiner ersten Szene im neuen Thriller «Der Racheengel» gibt der Held einen jämmerlichen Eindruck. Verschlafen, versoffen, verbeult. Am Morgestraich in Basel stirbt gleichzeitig Heinrich Boswiler knapp vor 4 Uhr. Kommissar Michael Engels und seine designierte Nachfolgerin Sabine Bildeisen nehmen Ermittlungen auf. Im knappen Kapital 3 erwacht ebenfalls zur gleichen Zeit ein Häftling in der Justizvollzugsanstalt Wauwil.
Mike Bohrer schaltet sich beim Basler Mord ein, denn der Tote verschiebt mit seiner Krypto-Firma international Gelder. Ein klarer Fall für den Nachrichtendienst des Bundes, für den der «Geheimagent mit Schweizer Kreuz» arbeitet. Wahnsinnig schnell entlarvt er den Mörder, doch dann überstürzen sich die Ereignisse, die unter anderem seine Familie tangieren. Nach rund der Hälfte des Buches verlagert der Autor den Schauplatz nach Lima. Die Schlüsselszene passiert im KKLB, beim Abspann gehts zur Wallfahrtskapelle Gormund.
Der Diebenturm im Thriller
«Er hatte sein Ziel erreicht. Der historische Diebenturm. Wie treffend, dachte er sich.» Markus Bucher breitet seine Ortskenntnisse über Sursee aus. Auch das Vereinslokal der Zunft Heini von Uri, St. Erhard und Wauwil kommen vor. Diese Schauplätze dekorieren die Story, mehr nicht. Ausführlich erzählt der Autor über die Ermittlungen in Basel und charakterisiert eingehend die involvierten Figuren.
Fast wie ein Bond
Ein Thriller, kein Krimi ist sein Buch, weil die Story tatsächlich an mehreren Schauplätzen spielt. Die Hauptfiguren kämpfen mit Drohungen und müssen um ihr Leben fürchten. Eine Verfolgungsjagd, eine Flucht, Schiessereien, eine Art Miss Moneypenny und verführerische Frauen erinnern an James Bond. Vermischt mit spektakulären Wendungen gibt das einen attraktiven Mix.
Besonders angetan haben es Markus Bucher die Frauen-Figuren: Sie beschreibt er einerseits als attraktiv, sportlich mit elegantem, leicht federndem Gang. Eine andere ist schlank, athletisch, um die vierzig, in einem figurbetonten Businessanzug und mit glänzenden haselnussbraunen Augen. Mit dieser Frau tänzelt Mike Bohrer später in einer skurril-bizarren Szene über einen Flur in einer Zuger Firma. Diese Prise Erotik ist angemessen.
Eine Prise Erotik
Eine andere Dame trägt High Heels und vernascht einen Pizza-Kurier beinahe vor den Augen der Polizei. Das ist eine ulkige Trash-Szene, die Männerfantasien bedient oder vorgibt, sie zu bedienen.
Ein Stilmittel, das Spannung erzeugt, nutzt Markus Bucher, der sich als Autor und nicht als Schriftsteller sieht, ausgiebig. Da sich viele seiner Kapitel nur über zwei bis drei Seiten erstrecken, enden Szenen oft auf Scheidewegen. Der Leser bleibt neugierig und möchte wissen, wie es weitergeht. So rattern die Seiten vorüber, befördert durch die leicht verständliche Sprache, die zum Glück ohne Firlefanz und Fremdwörter auskommt, was nochmals das Lesetempo hochhält.
Der Autor pokert
Auf dem Cover des Buchs ist ein Engel abgebildet, darunter sind die vier Jasskarten Herz Ass, Egge Ass, Kreuz zehn und Schaufel zehn zu sehen. Warum französische Karten? Der Autor pokert – in der Story und mit den Lesern. Bucher verspinnt dieses Kartenspiel mit einer geheimen Organisation, die den heute gängigen Verschwörungstheorien abgeschaut ist.
«Rache ist niemals die Lösung, sondern der Auslöser für einen Teufelskreis», sinniert Mike Bohrer. Seine Ausführungen über die Rache hebt den spannenden Thriller kurze Zeit auf eine philosophische Abhandlung, die angemessen lang ist. Schade ist, dass er den Faden nicht weiterspinnt.
Demaskierung durch Vornamen
Einen Fingerzeig zum Charakter der Figuren geben ihre Namen. Agent Bohrer bohrt nach zum Beispiel. Hier wird der Autor aber zu offensichtlich. Wer den Vornamen des grössten Menschenfeinds des 20. Jahrhunderts trägt, kann auch im 21. Jahrhundert kein Guter sein und demaskiert sich bereits beim ersten Auftritt.
Wer eine spannende Geschichte mit lokalem Bezug mag, ist bei «Der Racheengel» am richtigen Ort. Der Thriller ist leicht lesbar, hat eine nachvollziehbare Handlung und endet mit einem mitreissenden Finale vor der Haustüre, das noch Fragen offen lässt. Eine Verfilmung fände im Kino ein Publikum.