Stadträtin Heidi Schilliger: «Natürlich sagen Blumenkisten wenig über die Qualität des öffentlichen Raums aus.» Foto: Ana Birchler-Cruz
Stadträtin Heidi Schilliger: «Natürlich sagen Blumenkisten wenig über die Qualität des öffentlichen Raums aus.» Foto: Ana Birchler-Cruz
03.02.2019

«Das fühlt sich an wie Niemandsland»

Mit dem Wachstum der Surenstadt nehmen die Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum zu. Im Interview spricht Stadträtin Heidi Schilliger über Blumenkisten, Grenzen des Tolerierbaren und weshalb der Stadtrat keinen «Regelwald» will.

​Tulpenweg, Gartenstrasse, Meienriesliweg: Seien wir ehrlich, Frau Schilliger, die öffentlichen Räume in Sursee sind doch weit grauer, als die blumigen Namen suggerieren – Stichwort Martigny-Platz.

Das täuscht, denn wenn wir von öffentlichen Räumen sprechen, müssen wir uns vom eng gefassten Begriff, der damit nur Freiflächen oder Plätze meint, lösen. Zu den öffentlichen Räumen gehören auch Strassen-, Grün- und andere Begegnungsräume. Öffentliche Räume sind wichtige Nutzflächen, auf denen wir uns tagtäglich bewegen.

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Als öffentlicher Raum hat die Stadt den Martigny-Platz vergangenen Sommer begrünt und wohnlicher gemacht. Für viele blieb der Platz trotzdem eine öde Betonwüste.

Natürlich sagen Blumenkisten wenig über die Qualität des öffentlichen Raums aus. Der Stadt geht es aber vielmehr darum, hinzuschauen und sich zu fragen: Was passiert im öffentlichen Raum? Finden Begegnungen statt? Wenn ja, welche? Auch zwischen den Generationen? Man weiss zum Beispiel, dass ein Raum sicherer wird, wenn er vielseitig genutzt ist, einfach weil man mehr hinschaut. Diesbezüglich haben einige Räume ganz klar Verbesserungspotenzial.

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Die Grünen haben eine Bodeninitiative lanciert. Der Bevölkerung und der Politik brennt das Thema der öffentlichen Räume offensichtlich unter den Nägeln. Nimmt das der Stadtrat wahr?

Selbstverständlich! Im Rahmen des Flächenmanagements werden Themen wie Mobilität, Freiräume oder erschwinglicher Wohnraum nicht losgelöst voneinander betrachtet. Die bereichsübergreifende, vernetzte Planung ist eine grosse Herausforderung, weil dadurch ganz viele Fragen zur Zukunft des öffentlichen Raums in Sursee beantwortet werden müssen. Die Ortsplanungsrevision nimmt viele dieser Anliegen auf, zum Teil sollen sie aber noch konkreter werden.

 

Sursee ist in den vergangenen 20 Jahren rasant gewachsen. Wie haben die öffentlichen Räume dieses Wachstum bewältigt?

Denken wir an die Altstadt als Raum, der sehr intensiv und dicht genutzt wird, sei dies durch Anwohner, Gewerbetreibende, Besucherinnen oder Ausgänger. Auch andere Räume wie der Triechter oder der Ehret-Park werden gern und stark von der Bevölkerung frequentiert. Daraus können Nutzungskonflikte entstehen. Aktuell beschäftigt sich die Stadt damit, wie Räume allgemeinverträglich von verschiedenen Altersgruppen genutzt werden können. Im Rahmen der Ortsplanung soll damit Freiräumen ein ganz anderer Stellenwert als bisher zukommen.

 

Hat sich das Wachstum von Sursee unterschiedlich auf die vier grossen Quartiere Neufeld, Mariazell, Eisenbahnvorstadt und Altstadt ausgewirkt?

Nur beschränkt. Es gibt Unterschiede durch die Anzahl der unterschiedlichen Neubauprojekte einerseits und  andererseits durch den gebietsspezifischen Charakter jedes Quartiers, auch hinsichtlich der Grünflächen. Permanente Problemzonen gibt es aber in keinem Quartier.

 

Ich widerspreche: Von vielen wird die Altstadt als Problemzone wahrgenommen.

In der Altstadt treffen zu bestimmten Zeiten unterschiedliche Bedürfnisse in unterschiedlicher Intensität aufeinander. Während die einen nachts das Vergnügen suchen, wollen andere ihre Nachtruhe. Zu anderen Zeiten ist die Altstadt ein wunderschöner Ort, der Raum bietet für qualitativ hochwertige Begegnungen. Die Altstadt ist nicht per se ein Problemquartier. Es gilt genau hinzuschauen, wann welche Probleme auftauchen, und entsprechend zu reagieren.

 

Kann ein Nutzungskonzept für die Altstadt, wie es der Stadtrat vorsieht, diese Probleme lösen?

Eine Lösung, die auf einen Schlag alle Beteiligten zufrieden stellt, ist schwierig zu finden. Wichtig ist, dass ein mögliches Nutzungskonzept alle Betroffenen abholt und gemeinsam Schritt für Schritt Lösungen aufzeigt.

 

Trotzdem schlägt der Stadtrat auch Pflöcke ein. War die rote Linie beim «Rössli» überschritten?

Natürlich gibt es Grenzen des Tolerierbaren, dort ergreifen wir entsprechende Massnahmen. Die grosse Herausforderung ist dabei, dass die Sanktionen nicht alle Akteure in der Altstadt treffen, sondern nur die Urheber des Problems.

 

Littering, Vandalismus, Ruhestörungen und Verkehrsprobleme: Je urbaner Surseer wird, desto grösser die Probleme, so scheint es.

Je mehr Menschen sich an einem Ort aufhalten, umso mehr akzentuieren sich solche Probleme. Die Zentrumsfunktion von Sursee wird künftig zunehmen, in absehbarer Zeit werden wir zu einer 24-Stunden-Gesellschaft. Damit das Zusammenleben im öffentlichen Raum möglichst konfliktfrei gelingt, braucht es Regeln. Im besten Fall sind dies Regeln, die den Surseerinnen und Surseern etwas ermöglichen und nicht einfach nur verbieten.

 

Bietet das Leitbild der Stadt für öffentliche Räume dabei Hand?

Ja, aktuell setzt die Stadt gewisse Handlungsempfehlungen um. Das Leitbild stellt insbesondere sicher, dass die Vernetzung der verschiedenen Massnahmen gewährleistet ist.

 

Wo besteht demnach der grösste Handlungsbedarf?

In verschiedenen Workshops, welche die Stadt durchführte, hat sich gezeigt, dass unsere öffentlichen Räume als belebt, insgesamt sicher und vielseitig nutzbar wahrgenommen werden. Damit dies so bleibt, braucht es raumübergreifende Regeln für das Miteinander in Sursee. Regeln, die Begegnungen im öffentlichen Raum konfliktfrei ermöglichen. Wir wissen auch: Je mehr Regeln es gibt, desto mehr werden sie missachtet. Es braucht also wenige, aber verbindliche Regeln, die für möglichst viele öffentliche Räume in Sursee gelten – einen Regelwald wollen wir nicht. Die Erarbeitung dieser Nutzungsregeln geht der Stadtrat dieses Jahr an.

 

Was macht die Stadt für die Jugendlichen? Ab 22 Uhr fehlt ihnen eigener Raum in Sursee.

Besonders für Jugendliche im Alter von 16 bis 18 Jahren fehlt öffentlicher Raum, den sie mitgestalten können. Viele Jugendliche wollen die Abende nicht mehr zuhause verbringen, in die Lokale der Altstadt kommen sie noch nicht rein. Das fühlt sich an wie «Niemandsland». Aktuell klären wir deshalb, welche Raumbedürfnisse konkret bei den Jugendlichen bestehen, wo wir ihnen eigene Nischen ermöglichen können und wo auch Zwischennutzungen möglich sind.

 

Prüfen Sie im Rahmen des Leitbilds weitere Massnahmen?

Unter der Leitung von Piroska Vaszary, Leiterin Planung und Bauberatung, werden Grundlagen für eine nachhaltige und qualitätssichernde Planung des Freiraums erarbeitet. Eine Freiraumplanung der Stadt Sursee ist in Auftrag gegeben und in Bearbeitung. Der Freiraumcharakter der Quartiere soll gestärkt werden und gebietsspezifische Massnahmen aufweisen. Die Vernetzung von halböffentlichen und öffentlichen Räumen sieht im Übrigen auch die revidierte Ortsplanung vor.

 

Der Kyburg-Park ist in die Jahre gekommen. Welche Perspektiven sehen sie für diesen Raum?

Optimal wäre, wenn der Park von allen Generationen genutzt würde: am Morgen vielleicht eher von den Senioren, am Mittag von Schülern, am Nachmittag von Kindern und Familien – am allerliebsten jedoch altersdurchmischt. Hierzu gilt es, zusammen mit allen Interessengruppen ein mögliches Nutzungskonzept zu erarbeiten.

 

Die Fläche der einst geplanten Ringstrasse Süd fristet heute ebenfalls ein Schattendasein.

Ideen, um die Flächen öffentlich nutzbar zu machen, sind da. Wir stehen dazu im Austausch mit den Verantwortlichen der Marianne und Peter Ehret Stiftung. Wie diese unverbaute, öffentliche Fläche genutzt und als Begegnungsraum gestaltet werden kann, fliesst in das Freiraumkonzept ein.

 

Was wünschen Sie sich ganz persönlich für die öffentlichen Räume in Sursee?

Dass die Räume und Plätze noch durchmischter, das heisst über alle Generationen und Kulturen hinweg, genutzt werden. Als Orte, die zum Verweilen einladen und wo immer wieder neue Begegnungen stattfinden.

 

Hier würde sich doch der Martigny-Platz aufdrängen!

Richtig, mit dem Stadtgarten-Spiel haben wir ja einige Erfahrungen gesammelt. Die Bänkli und Bäume waren erste Massnahmen, die zum Verweilen auf dem Platz einladen. Dieses Jahr soll der Platz weiter bespielt werden. Er darf aber nicht verbaut werden, sondern muss weiterhin vielseitig nutzbar sein – sei dies als Marktplatz, für Kultur- oder Sportanlässe oder für Public Viewings wie im vergangenen Sommer. Entsprechend müssen wir auf dem Platz unkomplizierte, niederschwellige Aufwertungsmöglichkeiten ausprobieren.


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