Die Tragödie «Phädra», die das Ensemble TOBS am Sonntag, 19. Oktober, im Stadttheater Sursee spielt, lotet das spannungsreiche Verhältnis zwischen Gefühl und Vernunft aus und wirft zeitlose Fragen auf. Eine Geschichte über unerfüllte und unerwiderte Liebe, die zum schwer lastenden Fluch wird und den Menschen ins Verderben führt.
Zerstörerische Kraft verbotener Liebe
Phädra ist mit Theseus, dem König Athens, verheiratet und wird zur tragischen Figur in einem Spiel aus Leidenschaft, Macht und Schuld. Aus einer früheren Beziehung hat Theseus einen Sohn, Hippolyt. Auf Phädras Drängen hin wurde er aus Athen verstossen und lebt zurückgezogen in den Wäldern.
Als das Gerücht umgeht, der Machthaber Theseus sei bei einem Abenteuer ums Leben gekommen, tritt Katalys, ein geheimnisvoller Abgesandter der Liebesgöttin Venus, auf. Er spürt menschlichen Gefühlen nach, bringt das Liebeskarussell in Schwung, indem er Phädra und Hippolyt anstachelt, ihre verborgenen Leidenschaften zu offenbaren. Phädra gesteht ihrem Stiefsohn Hippolyt ihre verbotene Liebe.
Als Theseus überraschend zurückkehrt, erkennt er sein Umfeld nicht wieder. Die entfachten Feuer und das aufgeladene Gefüge geraten vollends ausser Kontrolle. Liebe schlägt um in Scham, Schuld, Eifersucht, verletzten Stolz – und die Tragödie nimmt ihren Lauf.
Menschsein – zwischen Emotion und Urteil
Selbstgerecht und getrieben von innerem Aufruhr werden die Figuren zu Spielbällen ihrer eigenen Gefühle. Die Menschen spüren sich selber nicht mehr, verlieren die Kontrolle, treffen falsche Entscheidungen im Affekt, lassen sich von Leidenschaften in die Enge treiben und müssen sich den Konsequenzen stellen.
Wer sind die Menschen, dass sie sich blind von Leidenschaften hinreissen lassen und einander nicht zuhören? Wie kann sich jede Figur legitimiert fühlen, «ihre Wahrheit» zu vertreten, ohne die Wahrheit eines Gegenübers zu akzeptieren? Das Nicht-Zuhören entsteht aus dem Anspruch, die eigene Haltung als die einzig gültige zu behaupten, ohne den anderen und dessen Wort zu verstehen. Das führt zu gegenseitigen Verurteilungen, Täuschungen, tragischen Verstrickungen, Missverständnissen, zu einem fatalen Nebeneinander und schliesslich zu einem unaufhaltsamen Sturz ins Verderben.
Wahrheit – eine Frage der Perspektive?
Im antiken «Phädra»-Stoff der griechischen Tragödiendichter spiegeln sich Grundfragen des menschlichen Zusammenlebens. Jean Racines Version des antiken «Phädra»-Stoffs – von Schiller in eine klangvolle Sprache übersetzt – bleibt erschreckend aktuell: ein sprachgewaltiges Stück über das Menschsein, das Nicht-Zuhören und das Scheitern an sich selbst. Wer bereit ist, hinzuhören, wird hinter dem Gesagten Wesentliches verstehen.