Sie sagten, warum Chinesen anders ticken
Sie kennen China aus eigener Anschauung – der eine als Kunstfreund, der andere als Grafiker. Uli Sigg und Niklaus Troxler liessen am Montag am Innovage-Talk im KKLB 150 Interessierte an ihren Erfahrungen teilhaben.
Bis auf den letzten Platz gefüllt war am vergangenen Montag der Schweizer Landessaal inklusive Empore im KKLB Beromünster – einige der 150 Interessierten mussten sogar stehen. Zugpferde am fünften Montags-Talk von Innovage waren der Mauenseer Schlossherr Uli Sigg und die Grafik-Ikone Niklaus «Knox» Troxler. Beide hatten und haben noch immer einen starken Bezug zum Reich der Mitte – Sigg als ehemaliger Schweizer Botschafter und heutiger Besitzer der bedeutendsten Sammlung chinesischer Gegenwartskunst, Troxler als regelmässiger Grafik-Dozent an Kunstakademien verschiedener chinesischer Städte.
Im Gespräch mit den ehemaligen SRF-Journalisten Peter Gysling und Toni Zwyssig liessen die Beiden das Publikum Anteil nehmen an ihren Erfahrungen mit Land und Leuten im asiatischen Riesenreich. Den Auftakt machte die Frage, wie sich die aktuelle politische Situation auf das Kunstschaffen in China auswirke. «Die Künstler und vor allem die Studenten sind verunsichert. Aber sie reden nicht darüber», liess Troxler durchblicken. Sigg bestätigte, dass sich immer weniger Künstler mit der politischen Situation befassen. Dies sei aber auch darauf zurückzuführen, dass es im aktuellen China genug andere Themen gebe.
Kopieren gilt als intelligent
Bei einem Gespräch mit «Knox» Troxler, dem Gründer des Jazz-Festivals Willisau, durfte natürlich auch dieser Musikstil nicht fehlen. Die Improvisation stecke in China noch in den Kinderschuhen, befand der Grafiker: «Ich habe erlebt, dass unter dem Titel der Improvisation dreimal hintereinander das Gleiche gespielt wurde.» Für Sigg liegt dies nicht zuletzt daran, dass die chinesische Tradition auch im Kulturbereich darauf ausgelegt ist, tausendfach zu kopieren, was alte Meister schufen, um ihre Werke zu verinnerlichen. «Erst dann ist freies Schwimmen möglich.» Etwas zu kopieren sei in der Schweiz ehrenrührig, im Reich der Mitte indessen gelte es als Zeichen der Intelligenz.
Interessant waren die Ausführungen der beiden Talkgäste über die sozialen Aspekte und den technologischen Fortschritt in China. Vor allem auf dem Land sei der Wert der Familie ein viel höherer als im Westen, und dass die Grosseltern die Kinder erziehen, funktioniere gut, berichtete Troxler. Und in den Städten dominierten heute anstelle stinkender Zweitaktmotoren Elektrofahrzeuge, so dass sich die Luftqualität massiv verbessert habe. Für Sigg ist diese Entwicklung ein positives Beispiel des chinesischen Systems: «Das Regime kann jede Art von Wirtschaftspolitik von oben herab durchsetzen, was ein Tempo ermöglicht, das in Demokratien undenkbar wäre».
Keine Privatsphäre vor dem Staat
Dass diese Medaille auch ihre Kehrseite hat, und zwar in der totalen Überwachung der Individuen, daraus machten weder Sigg noch Troxler einen Hehl. Das jüngste und wohl absurdeste Beispiel sei die 1000-Punkte-Skala, nach der in den 30 wichtigsten Städten Chinas die «Qualität» der Einwohner bewertet werde. «Wenn jemand bei Rotlicht einen Fussgängerstreifen überquert, dann wird das registriert. Oder es wird bewertet, mit welchen Freunden man in den Social Media verkehrt – sofern dies überhaupt möglich ist», brachte Sigg anschauliche Beispiele. «Es gibt in China vor dem Staat keine Privatsphäre», so seine Quintessenz.
Eine köstliche Anekdote, welche die Bewertungsmentalität des offiziellen China untermauert, gab der ex-Botschafter aus jener Zeit zum Besten, als er den Schweizer Auftritt an der Weltausstellung in Shanghai verantwortete. Der Schweizer Pavillon galt als zweiterfolgreichster der Expo, weil sich vor ihm die zweitlängste Besucherschlange staute. «Der wahre Grund für die Schlange, nämlich dass die Seilbahn nicht mehr Leute aufs Mal schluckte, entging den Bewertenden offenbar», meinte Sigg mit einem Schmunzeln.