20.08.2018

Vom fleissigen Suchen, Finden und Veredeln

Seit Jahren auf meiner «Bucket List»: Vom Sommerferiendomizil an der Mosel nach Idar-Oberstein fahren und im deutschen Edelsteinzentrum auf historische «Schatzsuche» gehen – mit Expertenhilfe natürlich. In der europaweit einzigen begehbaren Edelsteinmine im Steinkaulenberg und in der Edelsteinschleiferei von Peter Brusius gabs (auch für ausländische Wunderfitze) allerhand Preziosen zum Anfassen ...

Schon die Anfahrt von der Mittelmosel ins höher gelegene, sanft hügelige, äusserst waldreiche Hunsrückgebiet ist ein Erlebnis. Frühmorgens gestartet erreiche ich bei wenig Verkehr die etwa 7 Kilometer ausserhalb von Idar-Oberstein gelegene Edelsteinmine im Steinkaulenberg. Sie wurde als einzige in Europa wieder begehbar gemacht.
Mit der ersten, relativ kleinen Besuchergruppe gehts kurz nach zehn Uhr in den Stollen, der uns mit äusserst angenehmen 15 Grad empfängt. Gelb behelmt folgen wir unserer sachkundigen Führerin und erleben in der Folge anschaulich, wie die hiesigen Edelsteinpioniere seit Mitte des 15. Jahrhunderts ihre Schätze suchten – und bis Mitte des 19. Jahrhunderts auch fanden.

Schuld waren Vulkane
Entstanden sind die Naturschätze gemäss unserer Expertin vor rund 200 Millionen Jahren durch vulkanische Tätigkeit. Einschlüsse von Kohlendioxidblasen in der erstarrenden Lava lösen chemisch-physikalische Prozesse aus, welche die Kristallisation und damit die Entstehung verschiedenster Edelsteine begünstigen.
Während des Gangs durch die Mine sind immer wieder extra beleuchtete Drusen oder Mandeln von Achaten, Amethysten, Rauchquarzen, Jaspis oder dem fleischfarbenen Carneol im Muttergestein zu bestaunen – und anzufassen. Doch wie mühsam musste es gewesen sein, vor hunderten von Jahren all diese Schätze aufzuspüren ...

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Schuften unter Tage
Ja, die Arbeit im Stollen sei äusserst kräftezehrend gewesen, erfahre ich. Kaum ein Bergmann sei älter als 40 Jahre geworden. Geduckt und ohne Tageslicht, in Nässe und Kälte Kriechstollen zu graben (ein Jahr für einen Meter!) habe seinen Tribut gefordert. Als die elektrische Beleuchtung für einen Moment ausgeht und nur noch ein Talglicht brennt, wird die unglaubliche Leistung der damaligen Bergleute erahnbar. Mit raffinierten Projektionen an die feuchten Felswände sieht man sie immer noch hämmern, graben – und auch mal Vesperpause machen.
Da die Edelsteinminen Grundherreneigentum waren, musste ein Drittel der Funde (darunter oft die schönsten und wertvollsten Stücke) den Herren von Oberstein abgegeben werden. Ob gewitzte Bergleute ihre Schätze auch mal «schwarz» abtransportiert haben, überlege ich mir kurz, doch dann wirds rutschig. Es geht treppabwärts, zu einem unterirdischen Teich, dessen Wasser konstant 5 Grad kalt ist. In fluoreszierenden Farben, geheimnisvoll leuchtend, erinnert er an einen Märchensee. Ein kurzes Fussbad wäre jetzt megacool ... doch die Tour geht weiter – bereits dem Ausgang entgegen.

Abstecher in die Felsenkirche
Da noch etwas Zeit bleibt, bis ich eine private Edelsteinschleiferei besichtigen darf, erkunde ich das Zentrum von Oberstein. Hier reiht sich ein Edelstein- und Schmuckgeschäft ans andere. Doch es lohnt sich, die Spreu vom Weizen zu trennen.
In der Nähe des sehenswerten Mineralienmuseums mit einem reaktivierten Wasserrad (früherer Schleifenantrieb) befindet sich hoch über den Häusern, in einer Felsnische, die Felsenkirche. Hinter Glas ist ein einzigartiges, naturgewachsenes Achatkreuz zu sehen. Erbaut wurde die Kirche 1482–1484 von Wyrich IV. Daun-Oberstein. Es ranken sich zahlreiche Legenden um eine Brudermord-Sühne, doch das ist wieder eine andere Geschichte.

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Von der Wasser- zur Elektroschleife
Kurz vor 16 Uhr gehts ein paar Kilometer weiter, nach Kirschweiler, an die Schleiferstrasse notabene. Dort wartet Peter Brusius (im Bild) vor seiner Edelsteinschleifwerkstatt, die er von seinem Vater übernommen hat. Man erkennt Schneide- und Schleifbänder in allen Varianten, Zangen und Haltegriffel, um kleine und kleinste Rohedelsteine besser an die Bänder halten zu können, Polierpulver aus Diamantstaub, Kisten, in denen Abschnitte gesammelt werden und mehr. «Früher gab es an der Idar alle hundert Meter eine Wasserschleife», erzählt Brusius, «doch mit der Elektrifizierung der Region wurde vieles einfacher.»
Auf alten Bildern ist zu sehen, wie früher die Schleifer bäuchlings vor den wasserbetriebenen Schleifen lagen und in dieser unbequemen Position tagelang Edelsteine geschnitten, ebouchiert (roh geformt) und facettiert (geschliffen) haben. Nahezu unvorstellbar! Anhand eines Amazonits (aus Moçambique) demonstriert Brusius die ersten beiden Arbeitsschritte mit der heutigen Technologie – glücklicherweise stehend! Wasser braucht man jedoch immer noch: um schwierige Formen mit CNC-Technik und Wasserdruckstrahl millimetergenau zu schneiden – beim Schleifen aber nur noch zu Kühlzwecken.

Präzisionsarbeit für Medina
Die Ausbildung zum Edelsteinschleifer (heute: Edelsteingestalter) dauert drei Jahre. Fast sämtliche Idar-Ober-
steiner scheinen die dazugehörige manuelle Geschicklichkeit in den Genen zu haben. Verständlich also, dass ich (noch) nicht selber ans Schleifband darf, obwohl mich das reizen würde.
Die exakt ausgeschnittenen Ozeanitformen sind für einen Grossauftrag in Medina: Die Prophetenmoschee hat in den letzten vier Jahren verschiebbare Kuppeldächer bekommen, die tags vor der Sonne schützen und nachts die warme Luft nach oben abgeben können. Das Innere der Kuppeln ist mit steinbesetzten Mandalas geschmückt, für die Brusius die türkisfarbenen Elemente liefert. Deutsche Präzisionsarbeit ist offenbar weltweit gefragt.
Ich bekomme zum Schluss ein Stück unbearbeiteten Ozeanit als Geschenk mit auf den Heimweg. Und meine Ausbeute an (geistigen) Schätzen ist nach diesem Tag äusserst facettenreich – und unbezahlbar.

 


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