Von der Fasnacht zum Kulturerbe
Vom Hofnarren zur Zunfttradition
Vereine kommen und gehen, wobei Letzteres heute überwiegt. Die Zunft Heini von Uri in Sursee gibt es seit 150 Jahren. Das wird an der Fasnacht mit einer Narrennacht als Jubiläumsanlass und mit regen Aktivitäten das ganze Jahr hindurch gefeiert. Das Jubiläumsjahr startet am 7. November mit dem Martinibot, der eigentlichen Generalversammlung der Zunft.
Doch wie kam es dazu? Bereits 1859 wurde eine Masken- oder Heini-von-Uri-Gesellschaft gegründet. Der Heini von Uri als Stadtnarr, begleitet von Lälli, Tüfel und Röllinarren, zog an der noch jungen Surseer Fasnacht durch die Stadt. Ein provisorisches Komitee lud am 7. Januar 1876 auf den 9. Januar, nachmittags um 4 Uhr, ins Restaurant Brauerei ein – zur Versammlung dieser damaligen Fasnachtsgesellschaft. Ohne Mails und WhatsApp, wohlverstanden. Man schrieb dazu, dass wichtige Traktanden zahlreiche Teilnehmer erwarten liessen. Man täuschte sich nicht: Über 100 Bürger kamen. Die Überführung mit Satzungen in eine dauerhafte Organisation war geglückt – die Zunft Heini von Uri war gegründet. Als erster Heinivater wurde der Brauereiwirt Xaver Brunner gewählt.
Dem Hofnarren «Heini von Uri» und der Legende um seine Person verdankt Sursee bis heute eine besondere Beziehung zur Zeit des Sempacherkrieges. Während die Fasnachtsgewaltigen anderer Luzerner Zünfte mit schwarzer Kleidung, weissem Hemd, Dreispitzhut und imposanter Kette aufmarschieren, tritt der Heinivater immer im Narrenkleid auf – in Erinnerung an den einstigen Hofnarren. Dieser clevere gebürtige Urner mit Namen Heini Grepper aus Sisikon blieb nach der Niederlage der Habsburger in Sursee zurück. Er lebt hier dank der Zunft weiter.
Die Zunft ist bis heute eine Männerorganisation geblieben. Heute besteht sie aus 98 Mitgliedern – Altheinivätern, Altmeistern und Mitmeistern – sowie drei Gesellen als potenzielle neue Mitglieder. Jedes Jahr hofft man, neue Gesellen für die spätere Aufnahme zu finden. Am ersten Samstag nach Dreikönig wählen die Zünftigen jeweils einen ehrenwerten Bürger zum Heinivater und somit zum Nachfolger des Stadtnarren Heini von Uri. Mit Ausnahme des Krieges, der Maul- und Klauenseuche sowie jüngst der Corona-Pandemie war das alle Jahre der Fall. In der 149-jährigen Geschichte ist Amtsinhaber Karl Setschi der 139. Heinivater. Nur wer – wie er – das erlebt hat, kann verstehen, welche Ehre ihm da zuteil wurde und welche Bedeutung das Amt für Sursee und seine Region hat.
Ein Brauch mit Gänsehaut und Geschichte
Sursee pflegt einen Brauch, der in der Schweiz einzigartig ist und es bis auf die offizielle Liste der UNESCO zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes geschafft hat. Die Bedeutung des Anlasses für die Region ist bis heute nicht zu unterschätzen. Die Ursprünge dieses archaischen Volksfestes gehen wohl ins Mittelalter zurück und sind auf die damaligen Zehntenabgaben der Bauern an die Klöster zurückzuführen. Ein schöner Brauch eigentlich – der auch heute noch Spass machen würde: Volksbelustigung mit Chance auf Gewinn beim Steuernbezahlen.
Seit wann Sursee die Gansabhauet feiert, ist nicht genau bekannt. Bräuche um die damals so wertvolle Gans waren in ganz Europa verbreitet.
Die Organisation obliegt einer städtischen Kommission. Als Vertreter der Zunft sind dabei von Amtes wegen Zunftmeister Florian Felber sowie – für den Ablauf im Ring – bis 2024 Altheinivater Beat Felder und ab 2025 Altheinivater Oliver Jost verantwortlich. Rund 25 Zünftige stehen jeweils im Einsatz. Die Zunft darf Gäste zum edlen Gansessen im Rathaus einladen, was bei den befreundeten Zünften sehr beliebt ist. Auch die Mitglieder haben dieses Privileg. Der amtierende Heinivater organisiert jeweils eine Aufführung zur Unterhaltung der Gäste.
In einem Zunftprotokoll von 1880 ist zu lesen, dass sich die Zunft Heini von Uri bereits damals um das Geschehen rund um die Gansabhauet vom 11. November gekümmert hat. Bis 1890 führte die Zunft archaische Spiele durch, die heute noch gepflegt werden: das «Stangechlädere», das «Sackgompe» und das «Chäszänne».
Ohne Werbebanden, ohne Lautsprecher und ohne Tickets hat der Brauch bis heute überlebt. Es bleibt zu hoffen, dass dies in der sich wandelnden Gesellschaft so bleiben wird. Zwei Gänse stehen im Zentrum. Sie werden von den erfolgreichen Schlägerinnen und Schlägern als Mahlzeit mit Freunden und Familien sehr geschätzt. Es muss ein Gänsehautgefühl sein, wenn der Schläger oder die Schlägerin mit verbundenen Augen spürt, dass das Tier gefallen und sein Eigen geworden ist. Dann wird es laut im Städtli – Adrenalin pur. Diesen Moment, so hört man immer wieder, vergisst man nie. Die Zunft freut sich, mit der Gansabhauet das Brauchtum von Sursee über die Fasnacht hinaus pflegen zu dürfen.
Kari Setschi Heinivater 2025
Inzwischen habe ich wieder festen Boden unter den Füssen, die letzten Konfettis sind aus der Wohnung aufgesaugt – doch in meinem Herzen wirbeln sie weiter. Fast ein Jahr voller unvergesslicher Momente liegt hinter mir. Die Eiszeit, unser Fasnachtsmotto 2025, hat mich einen Meter über dem Boden schweben lassen.
Als Heinivater durfte ich rund 40 Anlässe besuchen und unsere Zunft vertreten. Begleitet wurde ich von meiner wunderbaren Heinifamilie: Rita, Patrick, Manuela und Rian. Inzwischen gehört auch ein zweiter Heinigrossgoof zu uns. Gemeinsam haben wir gelacht, gefeiert, gestaunt und uns berauscht. Die strahlenden Kinderaugen und die warmen Begegnungen haben mich bewegt. Der verrückte Heiniball bleibt mir in bester Erinnerung. Das Verteilen der Orangen vom letzten Umzugswagen aus, das war ein «once-in-a-lifetime-Erlebnis».
Meine Tage als Heinivater 2025 sind gezählt, die Eiszeit schmilzt dahin. Doch das, was bleibt, ist ein Gefühl von Stolz, Dankbarkeit und einer rüüdigen Fasnachtsfreude. Die Mischung aus feierlichen Momenten, persönlichen Begegnungen und grosser zünftiger Unterstützung machte mein Jahr besonders eindrücklich. Sie wirkt weit über die Fasnachtstage hinaus.
Am 10. Januar wurde meine Nominierung zum Heinivater 2025 im Rathaus Sursee verkündet. Zuerst wurde im Kreise der Zünftigen das streng gehütete Geheimnis gelüftet. Alle gratulierten mir herzlich, und ich durfte in viele überraschte Gesichter blicken. Danach wurde mein Name öffentlich vom Rathausbalkon verkündet. Mit einem «Ja, ich will» begann meine Reise als Heinivater. Und heute sage ich: «Ja, ich durfte – und es war mir eine Ehre.»
Bald beginnt ein neues Kapitel. Unsere Zunft feiert ihr 150-Jahr-Jubiläum – ein stolzes Zeichen für gelebte jahrhundertealte Tradition. Am 3. Januar wird der neue Heinivater 2026 erkoren. Lieber zukünftiger Heinivater, du wirst lachen, staunen, manchmal auch schwitzen – aber vor allem wirst du getragen von der Energie und Freude der Menschen. Ich wünsche dir jetzt schon eine rüüdig schöne Fasnacht 2026.
Bald liegen wieder Konfetti in der Wohnung herum – und ich freue mich darauf.
Glück auf – Zunft Heini von Uri Sursee
Glück auf – 150-Jahr-Jubiläum