Menschen aus der Region Sursee erzählen, wie sie sich mit dem Coronavirus angesteckt haben und wie schwer der Weg bis zur Genesung war. (Symbolbild) (Foto Bernd Kasper/pixelio.de)
Menschen aus der Region Sursee erzählen, wie sie sich mit dem Coronavirus angesteckt haben und wie schwer der Weg bis zur Genesung war. (Symbolbild) (Foto Bernd Kasper/pixelio.de)
30.05.2020

Betroffene berichten: «Nach Ischgl kam das Fieber»

von Dominique Moccand, Celine Erni-Estermann, Daniel Zumbühl, Ramon Wolf

Wie verlief die Krankheit bei Personen, die sich mit Covid-19 angesteckt hatten? Unsere Zeitung hat sich bei Betroffenen umgehört und mit dem Departementsleiter Medizin des Luzerner Kantonsspitals, Christoph Henzen, gesprochen.

30’761 Personen wurden in der Schweiz seit Ausbruch der Coronapandemie positiv auf Covid-19 getestet (Stand 26. Mai). Dass die Krankheitsverläufe bei einer Infektion mit Covid-19 ganz unterschiedlich sein können, belegen zahlreiche Beispiele. Während die Krankheit auch asymptomatisch oder mit schweren Symptomen, die eine intensive Behandlung im Spital benötigen, verlaufen kann, zeigt eine grosse Mehrheit der Infizierten einen milden Verlauf. Unsere Zeitung hat mit zahlreichen Personen, die sich in den vergangenen Monaten mit Covid-19 angesteckt haben, über ihren Krankheitsverlauf gesprochen. Vielen dieser Gespräche war gemeinsam, dass die Personen entweder keine Auskunft geben oder anonym bleiben wollten. Wo gewünscht (Beiträge mit *), haben wir die aufgezeichneten Gespräche deshalb anonymisiert.

Covid-19 ist unberechenbarer

Was Covid-19 im Gegensatz zu einer gewöhnlichen Grippe speziell mache, seien die sehr unterschiedlichen Krankheitsbilder und -verläufe, sagt Christoph Henzen, Departementsleiter Medizin am Luzerner Kantonsspital (Luks). «Eine Influenza macht sich in der Regel durch Fieber, Kopfweh und Gliederschmerzen bemerkbar und ist nach ein bis zwei Wochen ausgestanden», erklärt Henzen.

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Im Gegensatz dazu kann eine Erkrankung an Covid-19 unberechenbarer verlaufen. «Es gab Fälle, wo die Patienten zuerst milde Symptome aufwiesen, nach fünf bis sieben Tagen aber schwer erkrankten. So schwer, dass eine Hospitalisierung notwendig wurde», sagt Henzen. Aus diesem Grund habe man begonnen, den positiv getesteten Patienten ein Sauerstoffmessgerät mitzugeben. Sank der Sauerstoffgehalt im Blut unter eine kritische Grenze, wurden die Patienten hospitalisiert.

«Das Perfide des Virus ist, dass es nicht nur die Lunge betrifft, sondern im Einzelfall auch andere Organe befallen kann.»
Christoph Henzen, Departementsleiter Medizin am Luzerner Kantonsspital (Luks)

Nervensystem ist auch betroffen

In der Regel war das Krankheitsbild der schweren Fälle, die im Luks behandelt wurden, geprägt von Atemnot und Entzündungssyndromen der Lunge, was bei etwa einem von zehn eine Intubation notwendig machte. «Das Perfide des Virus ist, dass es nicht nur die Lunge betrifft, sondern im Einzelfall auch andere Organe wie den Herzmuskel oder das zentrale Nervensystem befallen kann», sagt Christoph Henzen. So liessen sich zum Beispiel schlaganfallähnliche Krankheitsbilder, Sprachverlust oder der Verlust des Riech- und Geschmacksinns erklären.

Was sagt der Mediziner zu den unterschiedlich langen Genesungszeiten der Coronapatienten? Das sei eine der noch ungeklärten Fragen im Zusammenhang mit Covid-19, so Henzen. «Weshalb im Einzelfall ein gesunder, normalgewichtiger 40-Jähriger schwer und lange erkrankt und eine 90-Jährige einen milden Verlauf aufweist, wissen wir derzeit nicht.» Natürlich gebe es Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Diabetes Typ 2, die einen schwereren Verlauf begünstigen würden. «Restlos alle Fälle erklärt dies jedoch nicht», sagt Henzen.

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Kaspar Dörig, Hildisrieden, 73

Der Hildisrieder Kaspar Dörig musste aufgrund des Coronavirus ins Spital. (Foto ZVG)

Wann und wo genau sich Kaspar Dörig mit dem Coronavirus angesteckt hat, weiss er nicht. «Wir waren in Ischgl in den Ferien und als wir nach Hause kamen setzte bald das Fieber ein», sagte der 73-jährige Hildisrieder. Es folgten 16 Tage, an denen der pensionierte Chauffeur und Landwirt mit bis zu sechs Symptomen zu kämpfen hatte, darunter Fieber, Kopfschmerzen und Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns. Vorerkrankungen habe er eigentlich keine gehabt, erklärte Dörig und dennoch bereitete ihm sein angeschlagenes Gleichgewichtsorgan Schwierigkeiten. Schwindelanfälle führten zu Erbrechen und schlussendlich wurde ihm im Spital Sursee eine Infusion gelegt, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen.

Kaspar Dörig und seine Frau wurden getestet – beide mit positivem Befund. Daraufhin begaben sich beide für drei Wochen in Quarantäne. «Das war schon hart», meint Dörig, «aber das Schlimmste war die Ungewissheit. Man wusste ja nie, ob es noch schlimmer werden würde». Mittlerweile ist der ummfache Grossvater genesen. Es habe zwar selbst nach dem Abklingen der Symptome nochmal drei Wochen gedauert, bis er sich wieder in alter Frische fühlte, aber nun habe er es überstanden.

Anita Egger, Sursee, 55

Anita Egger vermutet, dass sie in Österreich mit dem Coronavirus infiziert wurde. (Foto ZVG)

Bevor Anita Egger diesen Winter in die Skiferien fuhr, hatte sie sich beim Bundesamt für Gesundheit extra noch erkundigt, wo man vor dem Coronavirus sicher sei. Es sei kein Problem, beschied man ihr. Also brach sie am 8. März zu den Dolomiten im Südtirol auf. Bereits zwei Tage später musste sie aus dem Gebiet wieder abreisen, weil Italien die Grenzen dicht machte. Auf der Rückreise bezog die 55-jährige Surseerin dann in Sankt Anton am Arlberg eine neue Unterkunft. Dort deutete nichts darauf hin, dass das Coronavirus schon da war. Da aber auch Österreich schnell die Grenzen schloss, reiste Egger am folgenden Freitag kurzfristig in die Schweiz zurück.

«Wahrscheinlich hat es mich in Sankt Anton erwischt», vermutet sie. Am 15. März tauchten bei ihr die ersten Symptome auf: Husten, Untertemperatur (statt Fieber), Müdigkeit und Atembeschwerden. Den Geruchs- und Geschmackssinn verlor sie jedoch nicht. «Ich hatte auch nie Angst um mein Leben, da die Symptome konstant blieben. Sie dauerten aber 17 Tage an.» So blieb denn die Surseerin, die mit vor ein paar Jahren operiertem Schilddrüsenkrebs zur Risikogruppe gehört, nicht weniger als 19 Tage in Quarantäne. «Ich bin froh, dass es mir jetzt wieder gut geht», sagt sie heute erleichtert.

Susanne Erni*, Nottwil, 47

Ungefähr Ende Februar sei es gewesen, als sie sich mit dem Coronavirus angesteckt habe, sagt Susanne Erni. Wo es passiert sei, wisse sie nicht: «Vielleicht beim Einkaufen. Oder möglicherweise war ich zu lange zu nahe an einer Menschengruppe – ich habe keine Ahnung, wo genau.» Als sie die typischen Symptome verspürte, ging sie am 2. März zum Arzt. Der deponierte die Medikamente vor der Praxistüre, wollte aber dann doch einen Test machen. Denn mit ihren Vorerkrankungen – Arthrose und ein entfernter Schilddrüsentumor – gehört die 47-jährige Nottwilerin zur Risikogruppe. Nach einigen Tagen erhielt sie den Bescheid, dass sie positiv getestet worden sei. «Von den Symptomen war das brutale Kopfweh für mich das schlimmste», berichtet Erni. Ausserdem litt sie unter Gliederschmerzen und trockenem Husten. Zweimal verspürte sie nachts Schmerzen auf der Lunge, und für drei Tage verlor sie den Geruchs- und Geschmackssinn. «Das Gefühl, dass ich sterben müsste, hatte ich jedoch nie.» Aber es sei schon beängstigend, wenn man alleine lebe und abschätzen müsse, wie man mit den Symptomen umgehen soll. An der Hotline habe man ihr gesagt, dass keine Einweisung ins Spital nötig sei, solange man normal gehen und sprechen könne. Die Symptome hielten zwei Wochen an, vier Wochen war Erni zuhause in Isolation. Bis jetzt wurden bei ihr keine Corona-Antikörper nachgewiesen. «Entweder war das Testergebnis falsch oder mein Immunsystem zu schwach, um solche zu produzieren», mutmasst sie. «Deshalb passe ich nun besonders gut auf, dass ich mich kein zweites Mal anstecke. Wer weiss, ob es dann nochmals so glimpflich abläuft.»

Carmen Schmid, Hildisrieden, 17

Carmen Schmid war erleichtert, dass ihre Freunde und Familie gesund blieben. (Foto ZVG)

An einem Samstagmorgen Mitte April erwachte Carmen Schmid mit leichten Kopf- und Gliederschmerzen sowie einem feinen Stechen im rechten Lungenflügel. Die Schmerzen seien nicht stark gewesen, doch brachten sie vor allem ein ungutes Gefühl mit sich: «Ich wollte gar nicht glauben, dass ich mich angesteckt haben könnte, denn ich hatte kaum engen Kontakt mit anderen Personen, weder bei der Arbeit noch in der Freizeit.» Ihr seien wohl die vereinzelten kurzen Strecken im öV zum Verhängnis geworden, vermutet die 17-jährige Hildisriederin.

In den folgenden zwei Wochen bewegte sich Schmid nur noch zwischen Bett und Bad, bekam das Essen vor die Tür gestellt und war viel allein – von 100 auf 0. «Es fühlte sich an, als wäre ich im Gefängnis.» Wagte sie sich auf den Balkon, machte ihr die Hitze der Sonne zu schaffen. Um sich selbst habe sie nie wirklich Angst gehabt, da sie grundsätzlich gesund sei, räumt sie ein, doch sei die Furcht davor, jemand anderen angesteckt zu haben, omnipräsent gewesen. «Zum Glück sind aber alle in meinem Umfeld gesund geblieben.» Bereits nach einer Woche in Quarantäne fühlte sie sich nicht mehr wirklich krank, aber noch angeschlagen. Körperliche Anstrengungen fallen der Dentalassistentin im ersten Lehrjahr auch heute, rund einen Monat der Infektion, noch immer schwer: «Nach mehr als zehn Tagen, die ich hauptsächlich gelegen bin, muss ich mich wieder daran gewöhnen, den ganzen Tag auf den Beinen zu sein.»

Inge Lichtsteiner, Egolzwil, 59

Die Egolzwilerin Inge Lichtsteiner las das Virus vermutlich in Sölden in den Skiferien auf. (Foto ZVG)

Während der Fasnacht festete Inge Lichtsteiner noch unter anderem im «Wöude» in Sursee, danach verreiste sie mit ihrem Partner für eine Woche nach Sölden in die Skiferien. Dort las sie wohl das Virus auf, wie sie erst später erfuhr. «Zum Teil waren die Restaurants und Bars so dicht gefüllt wie bei uns an der Fasnacht», erzählte sie in der Sendung «Fokus» von Tele 1. Auf Sesselbahnen habe sie auch mulmige Gefühle gehabt. Nach ihrer Rückkehr empfing sie unter anderem ihre Mutter zu Hause. Ihre Infektion bemerkte sie so: «Ich hatte Fieber sowie Erkältungssymptome und wurde am Montag nach den Ferien getestet. Per Telefon bekam ich dann Bescheid, positiv getestet zu sein.»

Extreme Anzeichen habe sie jedoch nie gezeigt. Die Körpertemperatur pendelte sich nach ca. zehn Tagen bei 37,5 Grad ein, sie verspürte starke Gliederschmerzen und verlor den Geschmackssinn. «Ich musste aufpassen, das Essen nicht zu versalzen.» Inge Lichsteiner isolierte sich zu Hause – auch von ihrem Partner, der das Virus nicht aufwies. Diese Zeit war schwierig. «Ich kam mir viel alleine vor. Lesen mochte ich nicht den ganzen Tag.» Drei Wochen dauerte ihre Bettzeit – an zehn Tagen davon waren die Symptome schlimmer. Das persönliche Umfeld wusste von ihrer Erkrankung. «Viele wussten aber nicht, wie sie mit mir umgehen sollten», beobachtete Inge Lichtsteiner.

Am 3. April, nach zwei Tagen ohne Symptome, endete ihre Isolation. Deshalb sagte die CVP-Kantonsrätin aus Egolzwil zu, als Tele 1 anfragte, ihre Geschichte zu erzählen. «Ich hoffe, dass ich zur Klärung beitragen und viele Unsicherheiten ausräumen konnte.» Auf ihren TV-Aufritt bekam sie durchwegs positive Reaktion – auch im Kantonsrat. Die Betroffenheit sei gross gewesen. Viele fragten Inge Lichtsteiner, ob sie nun immun sei. «Ja, ich habe Antikörper gebildet», antwortet sie und fügt an, dass sie alle Infizierten verstehe, die nicht öffentlich darüber sprechen möchten.

Was ist geblieben vom Virus? «Ich fühle mich beim Geschmackssinn immer noch unsicher. Und ich bin immer noch im Homeoffice», verrät Lichtsteiner. Warum sie die Krankheit relativ gut überstanden hat, kann die Anfang Juni 60-Jährige nicht genau beantworten. «Vielleicht hatte ich einfach Glück. Vielleicht half mir, dass ich viel Sport treibe und ein gutes Immunsystem habe.» Wieder in Erinnerung gerufen hat das Coronavirus, dass die Menschen verletzlich seien und sie mehr Zeit für die Partnerschaft und Freizeit investieren möchte. Mit Verschwörungstheorien kann sie jedoch rein gar nichts anfangen: «Wir sollten doch den Experten vertrauen.»

Ueli Grüter*, Hildisrieden, 66

«Ich habe keine Ahnung , wo genau ich mich angesteckt habe», antwortet Ueli Grüter auf die erste Frage unseres Gesprächs. Die Vermutung liege auf einem gut frequentierten Restaurant in der Stadt, das der Pensionär Anfang März besucht hat. Ab dem 10. März traten dann leichte Symptome auf: leichtes Fieber, Glieder- und Kopfschmerzen. Alles Symptome, die auch auf eine Grippe hindeuten könnten. «Damit ging ich anfänglich natürlich nicht zum Arzt. Erst fünf Tage später konsultierte Ueli Grüter einen Mediziner und wurde erstmal wieder nach Hause geschickt. Die Symptome seien zu schwach, um einen Test zu machen, hiess es. Grüter begab sich in Selbstisolation und wurde erst am 20. März, als die Symptome bereits wieder abklangen, positiv getestet. Trotz Asthma und Immunsuppressionsmedikamenten verlief die Krankheit für Ueli Grüter glimpflich. «Ich hatte bereits Grippen, die weitaus schwerwiegender waren», sagt der 66-Jährige. Trotzdem ist er froh, es überstanden zu haben, und wünscht allen: «Bleiben Sie gesund und vorsichtig!»


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