06.06.2018

«Geschichten sind mir wichtiger als Effekte»

Stop-Motion-Filme sind ihre Leidenschaft –und Beruf(ung). Nach prägenden Lehr- und Wanderjahren ist Irmgard Walthert seit 2012 vermehrt wieder im Luzernischen anzutreffen.

Das Atelier an der Industriestrasse 17 in Luzern ist so, wie man sich eine «Kreativwerkstatt» vorstellt: Die ehemalige Wohnung, die sich Irmgard Walthert mit elf weiteren (meist) Filmschaffenden teilt, ist verwinkelt, mit einem grossen, zentralen Raum, in dem sowohl gefilmt als auch gefeiert werden kann. Die Zimmer sind zu (Gemeinschafts-)Büros umfunktioniert, überall stehen, liegen oder hängen Spuren kreativer Denkarbeit. In Irmgard Waltherts Ecke sind Miniskizzen von Szenenentwürfen auszumachen, oft mit Notizen angereichert. An der Wand hängen Beschreibungen der vier Charaktere ihrer Masterarbeit «Mungge – nid scho widr!», und auf ihrem Pult stehen sie dann in «Lebensgrösse», die beweglichen, handgefertigten Protagonisten aus drahtgestütztem Latexschaum Ritalina, Xaver, Barbla und Max.

Der rund sechsminütige Kurzfilm, den Walthert gemeinsam mit zwei Studienkollegen als Masterarbeit realisiert hat, wurde als Pilotepisode einer Kinder-Trickfilmserie angelegt. Doch erst jetzt, nach acht Jahren, hat sie mit einem der Kollegen Zeit gefunden, die Figuren nochmals zu relaunchen und das Präsentationsskript über eine mögliche Serie zu erstellen. Damit möchten die beiden im Herbst ans Europäische Cartoon-Forum in Toulouse – auf die Suche nach Geldgebern, damit die Serie in Produktion gehen könnte. Warum geschieht dies ausserhalb der Schweiz? «Projekte mit solch hohen Budgets kann man in einem Land allein nicht finanzieren», erklärt Irmgard Walthert. «Wir haben vor, die Figuren in einer allgemein verständlichen Lautsprache kommunizieren zu lassen, so könnte es eine Serie dereinst von Frankreich in die (West)Schweiz – und vielleicht auch in andere Länder schaffen.»

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Hatte Irmgard Walthert eigentlich schon als Kind «filmreife» Kreativphasen … – und gabs als Maturaarbeit an der Kantonsschule Sursee bereits ein Trickfilmdebut? Die heute 34-Jährige winkt schmunzelnd ab. Sie habe in ihrem Elternhaus in Dagmersellen (Mutter Handarbeitslehrerin, Vater Sekundarlehrer) eine anregende Umgebung, viel gestalterischen Spielraum und Unterstützung in all ihren Vorhaben erhalten, erinnert sie sich. «Gebastelt und gezeichnet habe ich immer gern. Am liebsten mochte ich aber Geschichten!» In der Kanti habe sie als Hauptfach zwar Bildnerisches Gestalten gewählt, ihre Maturaarbeit jedoch in Geschichte (ohne n!) abgelegt. «Es war damals üblich, die Abschlussarbeit in einem ‚seriösen‘ Fachbereich zu machen», erklärt sie beinahe entschuldigend.

Dass sich Irmgard Walthert nach der Matura dann doch für den Vorkurs an der HSLU anmeldete (für das Fach Textildesign notabene), hatte sie ihrem älteren Bruder zu verdanken. Er hatte zuvor die Fachklasse Grafik an derselben Hochschule belegt und ihr Mut gemacht. «Er konnte meine Eltern überzeugen, dass künstlerische Berufe nicht zwingend brotlos sein müssen – und hat für mich den Weg dadurch geebnet», erklärt Walthert. Bald schon wechselte sie ins Fachgebiet visuelle Kommunikation. An einem Comic-Workshop sei sie dann erstmals der Faszination der bewegten Bilder erlegen. Statt der vorgesehenen Cartoons habe sie mit Begeisterung Daumenkinos mit Schäfchenstories hergestellt – begleitet vom irritierten Stirnrunzeln ihrer Lehrpersonen...

Spätestens nach der ersten Begegnung mit «Wallace & Gromit»-Produktionen wusste Irmgard Walthert, worauf sie sich künftig spezialisieren wollte. Die Stop-Motion-Technik liess sie daraufhin nicht mehr los. «Computeranimation bietet heute beinahe grenzenlose Gestaltungsmöglichkeiten, doch mich spricht vor allem die handwerkliche, ‹ehrliche› Komponente von Stop-Motion enorm an», verrät die Animations-Künstlerin. Das Produzieren brauche jedoch viel Geduld und Konzentration, man müsse oft intuitiv umdisponieren und das Eigenleben mancher Figuren respektieren – fast wie im wirklichen Leben. Dass ihr «Geschichten wichtiger sind als Effekte», spürt man in Irmgard Waltherts Arbeiten, sie berühren mit spürbarer Liebe zum Detail, einer unbändigen Lust am Erzählen von Geschichten, die oft mit unerwarteten Twists verblüffen – oder enden.

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Wenn Irmgard Walthert von ihren Auslandeinsätzen bei grossen Animationsfilm-Produktionen erzählt, in Santjago de Compostela, London oder Lyon («Ma vie de courgette»), dann spürt man ihren Respekt vor dem Schaffen anderer, ihre Teamfähigkeit, die ihr oft Folgeaufträge einbrachte und ihre Hingabe an ihren Beruf («oft haben wir 10 Stunden am Tag – inklusive Wochenende – durchgearbeitet.»). Das Auskommen mit wenig Lohn, das Leben in bescheidenen Unterkünften, das Improvisieren mit kostengünstigen Materialien hat ihr gezeigt, dass der hohe Lebensstandard in der Schweiz nicht das Mass aller Dinge ist. Ihren Studierenden an der HSLU gibt sie deshalb gerne Werte weiter, die für ein Fortkommen als Animationsfilmschaffende «unbezahlbar» sind: «Bleibt neugierig, habt Freude an dem, was Ihr tut und werdet richtig gut in dem, was Ihr macht!»


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