Fabienne Kaufman muss teilweise ein Training aussetzen.  (Franziska Haas/Archiv)
Fabienne Kaufman muss teilweise ein Training aussetzen.  (Franziska Haas/Archiv)
26.01.2023

Menstruation und Leistungssport: Mit dem Körper arbeiten statt gegen ihn

von Franziska Haas

Jede Sportlerin hat einen individuellen Menstruationszyklus. Manche müssen ihren Trainingsplan anpassen, bei anderen hat die Regelblutung keine Auswirkung. Dies hängt auch von der Sportart ab. 

Am Tag X abliefern. Monatelanges Training soll sich an diesem Tag des Wettkampfs oder des Spiels ausbezahlen. Oft sind es nur wenige Minuten, die über die Leistung einer Sportlerin entscheiden und über den Trainingsfortschritt der vergangenen Wochen urteilen lassen. Die Spitzensportlerinnen müssen Höchstleistungen bringen, ob an einer Schweizermeisterschaft oder auf internationalem Niveau. Es geht darum, Titel zu erkämpfen, Medaillen zu gewinnen und eine Topleistung abzuliefern, egal in welcher Verfassung die Sportlerin ist. Es ist das, was ihren Alltag und ihre Arbeit als Spitzensportlerin ausmacht, und trotzdem geht oft ein wichtiger Faktor komplett vergessen: der Menstruationszyklus.

«Die Menstruation soll keine Ausrede für eine schlechtere Leistung sein, sondern zur Leistungsbeurteilung dazu gehören.»
   

Ob sich eine Sportlerin am Tag X schwach und müde fühlt, ob sie Schmerzen hat oder sich kaum für den Wettkampf motivieren lässt, spielt in solchen Momenten keine Rolle. Sie muss liefern. Zuschauer, Trainer und vielleicht auch Mitspielerinnen wissen nicht, in welcher Phase des Menstruationszyklus die Sportlerin derzeitig steckt und wie sie sich fühlt, ausser, sie kommuniziert es bewusst nach aussen. Das ist aber für viele gar nicht so einfach. Es ist nach wie vor ein Tabuthema.

aaa

Individualität fordert

Der Menstruationszyklus ist sehr individuell, was ihn auch schwierig zu erforschen macht. Es gibt menstruierende Personen, die ihren Alltag während ihrer Regelblutung normal bewältigen können. Ein leichtes Ziehen im Unterleib, eine unauffällige Reizbarkeit oder kurze Heisshungerattacken können Symptome sein. Andere haben mit starken Regelschmerzen, Schwindel und Kopfschmerzen zu kämpfen, um nur eine Handvoll Symptome zu nennen. Manche Schmerzen können die Frau für Stunden oder sogar Tage ausser Gefecht setzen. Der Menstruationszyklus ist aber auch individuell auf die Dauer bezogen. Die Lehrbuchlänge liegt bei 28 Tagen, aber das variiert von Frau zu Frau. So hat die eine mit einer Blutung von fünf Tagen zu kämpfen, während bei der anderen die Blutung nach nur einem Tag wieder stoppt.

Zwei unterschiedliche Sportlerinnen

Diese Individualität hat Auswirkungen auf die Bewältigung des Alltags bei den menstruierenden Personen und eben auch auf das Training von Spitzensportlerinnen. Das zeigen die beiden Beispiele dieser Zeitung.

Fabienne Kaufmann wurde 2022 zum 7. Mal Schweizermeisterin im Karate. Ihr Wettkampf fand am Samstag, 26. November, statt. «Vom 20. bis 25. November hatte ich meine Tage», erzählt sie. «Ich musste am Montag das Karate-Training ausfallen lassen, weil ich solche Schmerzen hatte.» Die 25-Jährige hat jeweils starke Schmerzen am Tag, wenn ihre Blutung einsetzt. Um den Tag zu überstehen, muss sie öfters zu Schmerzmitteln greifen. Das Gegenteil zu dieser Sportlerin ist die Nati-Handballspielerin Xenia Hodel. «Ich bin gesegnet damit, dass ich nur sehr geringe Schmerzen habe», erklärt sie. Die 24-Jährige hat noch nie ein Training aussetzen müssen wegen ihrer Menstruation.  

bbb

«Mein Körper ist in dieser Phase schon sehr beschäftigt. Ich muss ihn dann nicht noch weiter fordern, das schadet ihm nur.»
Fabienne Kaufmann (Karate)

Zwei unterschiedliche Sportarten, zwei verschiedene Sportlerinnen mit einem individuellen Menstruationszyklus: Wie bewältigen sie ihren Alltag und welche Erfahrungen haben sie mit diesem Thema schon gemacht?

Den Zyklus positiv nutzen

Fabienne Kaufmann kann dreieinhalb Wochen im Monat nach ihrem Trainingsplan trainieren und diesen frei gestalten. In den restlichen fünf Tagen muss sie auf ihren Körper Rücksicht nehmen. Sporadisch muss sie ein Training ganz aussetzen und gibt ihrem Körper dann viel Ruhe und Schlaf. Wenn sie sich während ihrer Menstruation aber genug fit fühlt, geht sie es im Training locker an und trainiert öfters im Bereich der Ausdauer. «Mein Körper ist in dieser Phase schon sehr beschäftigt. Ich muss ihn dann nicht noch weiter fordern, das schadet ihm nur», weiss die Karateka. Heute kann sie ihrem Körper diese Zeit geben, aber das war lange nicht so. «Ich bin eine disziplinierte Person. Früher wollte ich genau an meinem Trainingsplan festhalten, egal, wie stark meine Schmerzen waren», gesteht sie. Es habe sie sicher fünf Jahre gebraucht, das zu akzeptieren und zu wissen, dass die Qualität des Trainings bei weniger Leistung nicht schlechter sein muss.

«Die eigenen Bedürfnisse werden häufig denen des Teams untergeordnet.»
Xenia Hodel (Handball)

Derweilen hat sie gelernt, mit ihrem Zyklus zu trainieren. Kurz vor dem Eisprung ist der weibliche Körper dank des Östrogens am leistungsfähigsten (siehe Interview). Das merkt auch die Sportlerin aus Nottwil: «Ich fühle mich in diesen Tagen besser und fitter. Dann kann ich beim Krafttraining einen Satz mehr machen oder 5 Kilogramm dazunehmen.» Fabienne Kaufmann erzählt ausserdem vom mentalen Aspekt bei der Menstruation, ein weiteres, äusserst spannendes Thema. «Mein Körper ist schon Tage vor einem Wettkampf unter einer Daueranspannung», sagt sie. So ist es bei ihr schon öfters vorgekommen, dass die Blutung eigentlich genau auf den Wettkampfstag hätte fallen sollen, sich aber verzögert hat. Ihr Körper sei in einem dauerhaften Aktivierungszustand, dass die Menstruation erst dann einsetzt, wenn die ganze Anspannung abfällt, wenn der Wettkampf vorbei ist.

Xenia Hodel kann ihr Training als Mannschaftssportlerin weniger gut dem Zyklus anpassen.  (Foto Nicholas Noreng)

Schwieriger bei Mannschaftssportart

Das Training dem Zyklus anzupassen, ist bei einer Mannschaftssportart viel schwieriger. Diese Erfahrung macht auch Xenia Hodel, Spielerin bei den Spono Eagles. «Die eigenen Bedürfnisse werden häufig denen des Teams untergeordnet», sagt die Nottwilerin. Deshalb würden viele Spielerinnen trotz Schmerzen ins Training oder an ein Spiel kommen. Sie selbst hat jeweils leichte Schmerzen im Unterleib und ist deshalb weniger davon betroffen. Und trotzdem: «Es ist etwas los in meinem Körper, dass ich nicht kontrollieren kann. Ich fühle mich nicht wie mich selbst in diesen Tagen», gesteht sie. Auch sie fühlt sich nach ihrer Menstruation, also vor dem Eisprung, wieder wohler in ihrer Haut. Dann sei es auch klar, dass ihre Trainingsleistung besser ist. Als Spielerin in einem Team kann sie deshalb ihr Training aber nicht anpassen, jedoch kann sie ihre Leistung besser einschätzen.

«Wir brauchen kein Mitleid»

Beide Spitzensportlerinnen finden die Kommunikation über dieses Thema als entscheidend für ihr persönliches Wohlbefinden. «Es ist etwas Natürliches im Körper einer Frau und das sollte kein Tabuthema sein», findet Xenia Hodel. Deshalb sei es auch wichtig, jüngeren Sportlerinnen und Teamkolleginnen zu erklären, dass man sich dafür nicht schämen muss. «Wenn wir unserem Trainer sagen, dass wir unsere Tage haben, brauchen wir kein Mitleid dafür», fügt Fabienne Kaufmann bestimmt an. Es gehe schliesslich nur darum, dass alle Beteiligten die Leistung einer Sportlerin auch besser einschätzen können. Die Menstruation soll keine Ausrede für eine schlechtere Leistung sein, sondern zur Leistungsbeurteilung dazu gehören. Schweizer Sportverbände und vor allem auch Swiss Olympic erhöhen derzeitig die Sensibilität für dieses Thema und versuchen, Athletinnen und Trainer zu diesem Thema aufzuklären. In unserer Gesellschaft braucht es aber noch einige Schritte, bis dieser Bereich im Sport nicht mehr als Tabuthema angesehen wird.


Schon gelesen?

Anzeigen

Zum E-Paper

Lesen Sie unser wöchentlich erscheinendes E-Paper und tauchen Sie ein in spannende Reportagen, Politkrimis und erfahren Sie das Neuste aus Ihrer Gemeinde.

zum ePaper

Meistgelesen

Instagram