Zuhören und mit den streitenden Parteien versuchen, eine gemeinsame Lösung zu finden: Das ist der Job von Friedensrichterin Sandra Bättig. Foto:monika wüest
Zuhören und mit den streitenden Parteien versuchen, eine gemeinsame Lösung zu finden: Das ist der Job von Friedensrichterin Sandra Bättig. Foto:monika wüest
02.08.2018

Sie vermittelt zwischen Streithähnen

In ihrem Beruf erlebt Friedensrichterin Sandra Bättig viel Bitterkeit, böse Worte – aber auch «magische Momente». Zum Beispiel dann, wenn sie erfolgreich schlichten konnte.

In das Friedensrichteramt in Willisau gelangt man durch den gleichen Eingang wie in das Bezirksgericht. Ohne Kontrolle betritt niemand das Gebäude. Doch dann wird die Umgebung entspannter. Friedensrichterin Sandra Bättig übt ihren Job nicht in einem Gerichtssaal aus, sondern in einem ganz normalen Büro. Ein Pult, ein Gestell mit ein paar Ordnern und Büchern, ein grosser Tisch. An diesem empfängt sie Leute, die ihre Probleme miteinander nicht ausserhalb des Rechtssystems lösen konnten.

In ihrem Büro wird gestritten und verhandelt: um eine Pachterstreckung in der Landwirtschaft, um Lärm im Quartier, um die Aufteilung eines Erbes, über eine offene Werklohnforderung oder eine Persönlichkeitsverletzung. Die meisten Leute, die an ihrem Bürotisch sitzen, sind Männer aus dem Baugewerbe oder dem Dienstleistungsbereich, die offene Leistungen einfordern. Das Alter liegt in der Regel zwischen 35 bis 60 Jahren. Dabei geht es um Beträge zwischen 50 Franken und 2 Millionen Franken.

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Entscheidet sich jemand, den Rechtsweg einzuschlagen, ist die Friedensrichterin die erste Stelle, bei welcher der Kläger und die beklagte Person landen. Das Schlichtungsverfahren soll einerseits das Gericht von möglichst viel Ballast befreien und effizient und mit wenig Kosten zu einer Lösung führen. Andererseits soll es den Menschen dabei helfen, möglichst schnell und unkompliziert zu einem Entscheid zu gelangen – ohne die ganze Gerichtsmaschinerie in Bewegung setzen zu müssen. Erst bei einem Streitwert ab 100’000 Franken können die Parteien auf eine Schlichtungsverhandlung verzichten.

2000 Geschichten
Sandra Bättig ist seit 2011 Friedensrichterin. Über 2500 Verfahren gingen in dieser Zeit bei ihr ein. Davon kamen etwa 2000 zur Verhandlung. «Das sind 2000 Geschichten, unterschiedlichste Menschen und Probleme.» Die Willisauerin ist keine Richterin im eigentlichen Sinn. Sie entscheidet nicht über das Schicksal von Menschen. «Ich versuche zwischen Streithähnen zu schlichten und dabei zu helfen, Probleme aus der Welt zu schaffen.»


Die Leute reagierten ganz unterschiedlich auf eine Verhandlung bei ihr. «Die einen bleiben cool und nehmen es sachlich, andere schüttelt es emotional regelrecht durch.» Manchmal bleibe es in ihrem Büro ruhig, manchmal werde es sehr laut. Manche Leute schämten sich für ihre Gefühle, ihren Ärger, ihre Tränen, die es bei solchen Verhandlungen gebe. Doch solche Emotionen seien menschlich, sagt Sandra Bättig. «Wir werden alle manchmal wütend und können gewisse Sachen nicht akzeptieren.» Das Problem dabei: «Wenn wir an diesen Gefühlen festhalten, verhindert das eine Lösung.»

«Ist es das wirklich wert?»
Oft ist die Verhandlung bei der Friedensrichterin der erste Moment, in dem die Parteien physisch beieinander sitzen, sich in die Augen schauen und von Angesicht zu Angesicht über das Problem diskutieren. In anderen Fällen sitzen sich Geschwister oder Nachbarn gegenüber, die sich kaum noch anschauen und sich weigern, einander die Hand zu geben. Wie emotional es auch sein mag – Sandra Bättig bleibt in ihrer Rolle als Vermittlerin ruhig, sachlich und neutral.

Manchmal sei es allerdings schwierig zu verstehen, warum eine Partei nicht einlenken könne, sondern auf einem Prinzip herumreite. Oft gehe es dabei gar nicht in erster Linie um die Forderung, sondern um Rachegefühle. Da müsse sie manchmal fragen: «Ist es das wirklich wert?» Denn so gehe ganz viel kaputt. «Freundschaften gehen zu Bruch. Und man findet selbst keinen Frieden, wenn man gewisse Sachen immer und immer wieder durchkäut.»

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Es sei fast immer besser, eine Lösung bei den Friedensrichtern zu finden – und zwar nicht nur wegen des inneren Friedens. Denn gelinge das nicht, nehme ein Richter oder eine Richterin das Heft in die Hand. «Und dann haben die streitenden Parteien nicht mehr die gleiche Möglichkeit, die Lösung ihres Problems mitzugestalten.»

Beide Seiten reden lassen
Sandra Bättig weiss vor einer Verhandlung nie, was auf sie zukommt. Sie weiss vielleicht, dass irgendetwas in der Nachbarschaft nicht stimmt. Oder dass jemand von einer anderen Person Geld fordert. Mehr nicht. Zuerst lässt sie deshalb beide Seiten ihre Sicht der Dinge erzählen. In einem offenen Gespräch versucht sie dann, sich mit den Parteien langsam einer Lösung anzunähern. Dafür braucht es oft viel Fingerspitzengefühl. «Manchmal will eine Person nicht zugeben, dass sie nicht genügend Geld hat, um eine Schuld zu begleichen.» Dann müsse sie die Person dazu bringen, das einzugestehen und schliesslich eine Abzahlungsvereinbarung zu akzeptieren. Manchmal sei es auch schwieriger. «Wenn etwa ein Werkvertragslohn von einer Baustelle offen ist, wird es fast immer kompliziert.»


Oft sei es so, dass Leute hereinkommen und denken: «Ich gebe keinen Franken.» Dann rede man zusammen und meistens finde man sich dann doch. Manchmal gehe es in ihrem Büro zu und her wie an einem Basar. «Am Schluss geht es oft noch ums Feilschen. Dabei kann es um Bruchteile des Gesamtbetrags gehen.» Dennoch: «Fast immer sind die Parteien froh darüber, eine Lösung gefunden zu haben.»


Streit zu haben sei kräfteraubend. Das gelte gerade für Nachbarn oder Familien, die sich nicht aus dem Weg gehen könnten. Manchmal werde etwas zu einem Problem, weil die Leute nicht miteinander sprechen. «Wenn offene Fragen nicht geklärt werden, beginnen die Leute, die wildesten Dinge hineinzuinterpretieren.»

Gang vors Gericht ist langwierig
In Sandra Bättigs Büro geht es informell zu und her. Sie protokolliert das Ergebnis, nicht aber das Gespräch. Die Lösung können die beiden Parteien grundsätzlich selbst finden. «Manchmal braucht es mich dazu mehr, manchmal weniger.» Wenn die Parteien im Gespräch eine Lösung finden, gibt es am Schluss der Sitzung einen Vergleich. Wenn nicht, stellt Sandra Bättig eine Klagebewilligung aus. Dann kann der Kläger die Sache vor Gericht ziehen. Bis 2000 Franken Streitwert können die Friedensrichter auch Entscheide fällen. Das geschehe aber nur, wenn die Sachlage klar sei.

Bei einem Streitwert bis 5000 Franken können sie einen Urteilsvorschlag machen. Diesen können die beiden Parteien 20 Tage lang überdenken. Knapp 20 Prozent der Fälle, die bei Sandra Bättig auf dem Pult landen, gehen schliesslich ans Gericht. Der Rest wird bei ihr direkt erledigt – sei es bereits vor der Schlichtungsverhandlung durch einen Rückzug des Gesuchs, durch einen Vergleich bei der Schlichtungsverhandlung oder im Nachgang dazu mit einem Verzicht, das Gericht in dieser Sache anzurufen.


Den Gang vor Gericht müsse man sich gut überlegen, so Sandra Bättig. Wenn jemand ein Rechtsbegehren stelle, weil ihm Geld geschuldet werde, bedeute das keineswegs, dass er dieses auch erhalte. Ein Prozess könne zudem sehr viel kosten. Bei einem Streit über 20’000 Franken könne es etwa sein, dass einem die Hälfte zugestanden wird. «Am Schluss hat man aber doch nichts davon, weil der Prozess und die Anwaltskosten die restlichen 10’000 Franken bereits aufgefressen haben.» Ein weiterer Faktor, den man berücksichtigen müsse, sei die Zeit. Bis ein Fall entschieden sei, könne es Jahre dauern. Diese könnten sehr zermürbend und emotional belastend sein. «Wenn man ein Problem hier in meinem Büro lösen kann, ist das daher oft eine grosse Erleichterung.»

Der magische Moment
In ihrem Büro erlebt Sandra Bättig viel Bitterkeit und böse Worte – aber auch schöne Momente. Am Anfang seien die Leute oft verbissen und angespannt. «Wenn sie aber merken, dass sich eine Lösung abzeichnet, hellt sich das Klima sehr schnell auf, es wird sofort wärmer im Raum.» Die Erleichterung sei regelrecht spürbar. «Plötzlich können die Leute auch wieder über etwas anderes zusammen reden, sie werden lockerer.» Dann wisse sie: Jetzt sind sie auf dem richtigen Weg. Das sei beinahe ein magischer Moment. Die Krönung sei es schliesslich, wenn die Parteien selbst eine Lösung gefunden haben, sich gelöst und froh wieder die Hand geben können und dankbar rausgehen. «Das ist der schönste Moment in meinem Job.»


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