Sie tragen Feldstecher um den Hals, haben einen Rucksack geschultert, stehen mitten im Wald und lauschen dem Vogelgezwitscher: Die vier Ornithologinnen Anja Burkhardt (Sursee), Tatjana Wey (Schenkon), Patricia Baldi (Interlaken) und Alessandra Zumbach (Schötz) waren am letzten Samstag frühmorgens im Surseer Wald unterwegs, um Vögel zu beobachten.

Von links: Patricia Baldi, Alessandra Zumbach, Tatjana Wey und Anja Burkhardt.
Foto Stefanie Zumbach
Die vier Frauen haben sich nämlich für das diesjährige «Bird Race» zur Gruppe namens «Spechtaktulär» zusammengeschlossen, um während 24 Stunden so viele Vogelarten wie möglich zu bestimmen. Jedes Jahr findet das «Bird Race», veranstaltet von «Bird Life» Schweiz, im ganzen Land statt. Ziel ist es, auf kreative Weise Spenden für Projekte, die der Vogelwelt zugutekommen, zu sammeln. Die angemeldeten Gruppen von drei bis vier Personen suchten vorab Sponsoren, die ihnen pro gesichteter Vogelart einen Geldbetrag spenden. Diese Spenden werden dieses Jahr in den Erhalt der Kiebitze investiert, da diese Vogelart stark gefährdet ist.
«Für uns steht beim ‘Bird Race’ der Spass an der Ornithologie im Fokus».
Wie Interesse entstand
«Für uns steht beim ‘Bird Race’ der Spass an der Ornithologie im Fokus, aber dass wir aber auch noch Spenden für dieses wichtige Projekte sammeln, ist ein sehr schöner Nebeneffekt», sagt Anja Burkhardt (24 Jahre). Sie interessierte sich schon als Kind für die Vogelwelt. Ihr Vater ist Ornithologe und brachte ihr dieses Hobby näher. So auch Alessandra Zumbach (26 Jahre), ihr Vater ist ebenfalls begeisterter Ornithologe.

Erfahrene Ornithologinnen tragen den Feldstecher nahe bei sich, um ihn schnell zücken zu können, wenn ein Vogel vorbeifliegt.
Foto Stefanie Zumbach
Tatjana Wey (26 Jahre) ist seit etwa drei Jahren aktiv am «Birden» – sie wurde durch ihre Arbeit im Besuchszentrum der Schweizerischen Vogelwarte Sempach geweckt und sie konnte ihre Faszination während dem Biologie-Studium vertiefen – und Patricia Baldi (31 Jahre) hatte schon immer einen Draht zur Natur, wollte aber endlich die Namen der Vögel kennen, welche sie schon so oft sah. So absolvierten die Freundinnen den ornithologischen Grundkurs sowie den Feldornithologiekurs mit Zertifikat.
Aber reicht das Zertifikat aus, um sich Ornithologin nennen zu können? Die Surseerin Anja Burkhardt und die Schenkonerin Tatjana Wey sprechen im Video über ihre Motivation und Erfahrungen:
Rekord brechen
Das «Bird Race» startete um 21 Uhr abends am Freitag, 5. September. Die Gruppe «Spechtaktulär» traf sich pünktlich im Wauwilermoos, um bereits erste mögliche Vogelarten zu sichten. Sie hatten es auf Schleiereulen abgesehen, welche nachtaktiv sind. Mindestens drei der vier anwesenden Ornithologinnen müssen den Vogel korrekt bestimmen, um ihn mit auf die Liste setzen zu können, so sieht es die Regel vor. Genauer kontrolliert wird die abgegebene Liste jedoch nicht, das Ganze basiert auf Vertrauen.

Die Gruppe «Spechtakulär», die am diesjährigen «Bird Race» mitgemacht hat, überquert die Strasse in Richtung Surseer Wald.
Foto Stefanie Zumbach
Nach der Nachruhe ging das «Bird Race» für die Gruppe «Spechtaktulär» am frühen Samstagmorgen um 5 Uhr weiter. Sie starteten im Surseer Wald und bereits um 8 Uhr standen neben der Schleiereule fast 20 weitere Vogelarten wie etwa der Kleiber oder die Blaumeise auf ihrer Liste. Ebenso konnten die Ornithologinnen den Buntspecht, den Schwarzspecht und den Grünspecht beobachten, damit machten sie ihrem Gruppennamen alle Ehre.
«Merlin» hilft weiter
Was es zum Vögelbeobachten braucht, ist ein Feldstecher, «Geduld und genug Snacks», so Tatjana Wey. Am «Bird Race» wollten sie mindestens 82 Vogelarten sichten, das war der letztjährige Rekord, der in der Zentralschweiz aufgestellt worden war.
Obwohl das «Bird Race» eine wohltätige Angelegenheit ist, wird dennoch jeweils am Ende eine Rangliste erstellt. Deshalb fuhren die vier Ornithologinnen am letzten Samstag mit dem Fahrrad nicht nur vom Surseer Wald am Mauensee entlang bis zum Wauwilermoos, sondern reisten mit dem öffentlichen Verkehr sogar bis zum Klingnauer Stausee (Aargau) und kurz vor Ende des diesjährigen «Bird Race» um 21 Uhr nach Luzern.

Erfahrene Ornithologinnen haben nicht nur den Feldstecher dabei, sondern auch das Fernrohr.
Foto Stefanie Zumbach
Trotz der vielen Beobachtungsstationen gestaltete sich der Tag für die Ornithologinnen recht ruhig. Nicht, weil sie keine Vögel sahen, sondern weil sie sehr viele sahen. Wer Vögel von Nahem beobachtet, muss leise sein, sollte sich nicht ruckartig bewegen, ansonsten könnten sie schnell ausser Sichtweite fliegen. Dennoch muss ab und zu diskutiert werden. Welcher Vogel singt so hoch? War es eine Amsel oder doch eine Kohlmeise?

Das Bestimmungsbuch ist genauso wie die App «Merlin» hilfreich beim Bestimmen eines Vogels.
Foto Stefanie Zumbach
In solchen Situationen hat der Gruppe «Spechtakulär» die «Merlin»-App weitergeholfen. Diese ist unter den Fachkundigen bekannt und kann unterstützend beim Bestimmen der Vogelstimme sein. Doch manchmal kommt aber doch noch das gute alte Bestimmungsbuch zum Einsatz, das im Rucksack ist.
Die vier Ornithologinnen haben nicht nur in der Region Sursee interessante Vogelarten gesichtet, auch im Kanton Aargau am Klingnauer Stausee fanden sie Erstaunliches vor. «Es gibt zwar im Wald coole Vogelarten zu beobachten, aber die muss man zuerst einmal sehen, manchmal hört man nur ein Rascheln, und schon sind sie weg. Am Klingnauer Stausee aber sind sie viel besser zu beobachten», so Anja Burkhardt.
«Am Klingnauer Stausee sind ganz andere Arten zu beobachten, es ist ein interessanter Mix».
Tatjana Wey ergänzt: «Ausserdem sind dort ganz andere Arten zu beobachten, es ist ein interessanter Mix». Aktuell sind nämlich Flamingos zu sehen, eine eher aussergewöhnliche Situation, denn Flamingos kommen eigentlich vor allem in Afrika, Südamerika, Südwestasien und teils auch in Europa in Spanien oder Südfrankreich vor.

Auf diesem Bild, das durch das Fernrohr gemacht wurde, sind junge Flamingos zu sehen, die aus dem Klingnauer Stausee im Aargau trinken.
Foto Alessandra Zumbach
Laut der Schweizerischen Vogelwarte ist es ein Trupp Jungvögel, der wohl einen Ausflug gemacht hat, den Gewässern gefolgt und damit in der Schweiz gelandet ist. Aktuell lasse sich dieses Phänomen nur so erklären, die Jungvögel würden wohl demnächst wieder die Heimreise antreten.
Abgesehen von den Flamingos hat die Gruppe «Spechtakulär» am «Bird Race» auch ein Tüpfelsumpfhuhn, einen Regenbrachvogel und Zwergstrandläufer gesehen. Echte Highligts für die vier begeisterten Ornithologinnen. Insgesamt haben sie innerhalb der 24 Stunden genau 90 verschiedene Vogelarten gesehen.

Die vier Ornithologinnen haben sich «Spechtakulär» genannt, weil sie Spechte beobachten wollten, was sie auch erfolgreich gemeistert haben.
Foto Stefanie Zumbach
Ihr Hauptsponsor P&M Photo Media Luzern spendete pro Art fünf Franken. Damit hat es die Gruppe «Spechtakulär» am diesjährigen «Bird Race» auf den zweiten Platz der Zentralschweizer Rangliste (insgesamt zehn Gruppen) geschafft, auf der schweizerischen auf den 44. Platz (insgesamt 100 Gruppen). Ein tolles Ergebnis, doch noch besser waren die erlebten 24 Stunden. Zusammen Vögel beobachten, das macht das «Bird Race» für die vier Ornithologinnen Anja Burkhardt, Tatjana Wey, Patricia Baldi und Alessandra Zumbach aus und sie werden auch weiterhin regelmässig in der Natur nach Vogelstimmen lauschen.
Rekordergebnis am «Bird Race» erzielt
Ergebnisse Immer mehr Menschen entdecken die Freude an der Vogelbeobachtung. So ist es kein Wunder, dass das «Bird Race» von «Bird Life» im Aufwind ist und auch immer mehr Firmen das Sponsoring von Wettkampfteams attraktiv finden. Am 35. Schweizer «Bird Race» vom vergangenen Wochenende wurden gleich mehrere Rekorde gebrochen: Erstmals machten über 100 Teams – beziehungsweise 380 Personen – mit und sammelten für das Kiebitz-Artenförderungsprojekt von «Bird Life» über 200'000 Franken, ebenfalls ein neuer Rekord. Das Siegerteam «Huits Jougris» beobachtete innert 24 Stunden 153 Vogelarten. Bestes Jugendteam wurden die «Natrix Randulins» mit 132 Arten.



